Ausgrabung: Hassenbüttel
Lage und archäologische Befunde
Zwischen den Dorfwurten Wellinghusen und Wesselburen liegt etwa in der Mitte Hassenbüttel. Westlich und südlich dieser im Durchmesser 250 m großen Dorfwurt, die mit einer maximalen Höhe von NN +4,80 bis +5 m etwa 3,80 m über der umliegenden Marsch aufragt, lag wohl ursprünglich an einem Priel, über den eine verkehrsmäßige Anbindung an die Nordsee und wohl zu den benachbarten Dorfwurten Westerbüttel und Wellinghusen bestand.
In Hassenbüttel wurden 1875 auf dem Grundstück der noch heute dort ansässigen Familie Kruse Tontöpfe gefunden. Da man den Funden keine große Bedeutung beimaß, erhielt erst 1882 Claus Peters, Jarrenwisch, von Kruse Kenntnis: „Ein Kirchhof ist hier jedenfalls früher einmal gewesen! Als ich nämlich vor ungefähr 7 Jahren beim Umbau meines alten Backhauses einen tiefen Graben zudämmen wollte, stieß ich nach Wegräumung der oberen Erde von etwa einem Fuß Höhe mit der Pflugschar auf irdene Töpfe, ich untersuchte die Sache genauer und fand etwa einige 30 Töpfe in gleichmäßiger Höhe aneinander gesetzt. In denselben fand sich nur Erde und in jedem Topf eine irdene Platte, die offenbar als Deckel gedient hatte“ (Archäologisches Landesmuseum, KM-Archiv 397, A-O 1882). Auf Veranlassung von Peters fuhren am 13. Juli 1882 mehrere Mitglieder des Dithmarscher Landesmuseums nach Hassenbüttel, um dort eine Ausgrabung vorzunehmen, da man dort ein altes Urnengräberfeld vermutete. Zwar wurden mehrere Gräben bis 5 bis 6 Fuß Tiefe angelegt, doch bis auf einzelne hoch- und spätmittelalterliche Scherben blieb die Suche erfolglos.
Das verwundert nicht, denn nach Aussage der Bohrungen und des 1995 angelegten 40 m langen, 12 m breiten und 4 m tiefen Grabungsschnitts besteht der obere Teil der Dorfwurt aus Kleiaufträgen des Hoch- und Spätmittelalters, während der untere Bereich eine differenzierte Schichtenfolge aus Mist- und Kleiaufträgen aufweist. Die mit NN +0,80 m nur niedrig aufgelandete Seemarsch überschwemmten im frühen Mittelalter vor allem während des Winterhalbjahres häufiger Sturmfluten, die etwa 0,20 m mächtige, tonige Sedimente ablagerten. Daher waren die ersten Bewohner in Hassenbüttel von Anfang an zum Bau von Wurten gezwungen. Die niedere Salzmarsch prägten hier nach Aussage der Archäobotanik Milchkraut, Strandsalzschwaden, Salzbinsen, Schuppenmieren und Salzdreizack, die höhere Seggen, Straußgras und Schilfrohr. Spuren eines Streichbrettpfluges auf der Marsch unter den jüngeren Überflutungssedimenten deuten aber an, dass noch in den Sommermonaten der Anbau von Kulturpflanzen möglich war, bevor das Ackerfeld vom Meer überspült und wieder von Sedimenten bedeckt wurde. Die an der Marschensiedlung am Elisenhof dokumentierten Ackerfelder vermitteln für das 8. Jahrhundert das Bild einer eher zufälligen Verteilung des Kulturlandes auf höheren Marschflächen nahe der Wohnhäuser. Dabei kam in Hassenbüttel ebenso wie auf anderen Marschensiedlungen dieser Zeit ein Wendepflug zum Einsatz, der Vorschneider und Streichbrett aufwies und ein Umbrechen des Graslandes ermöglichte.
Auf den Anwachsschichten entstanden in einer ersten Phase (Siedlungshorizont 1) in Hassenbüttel im 9./10. Jahrhundert aus Klei aufgetragene Hofwurten, von denen eine randlich erfasst wurde. Deren 1 m hohen Kleiauftrag sicherten randlich Kleisodenwälle. Zu der auf einer Höhenlage von NN +2 m dokumentierten Siedlungsschicht dieser mit Mist erweiterten Wurt gehörte ein etwa 5,20 m breiter Kleinbau mit rekonstruierbaren Flechtwerkwänden und einem erhaltenen Firstpfosten. Auf der nördlichen Seite des Gebäudes führte ein später mit Mist und Brandschutt verfüllter flacher Graben entlang, den wohl ein schmaler Steg überquerte. Nördlich davon lag ein aus Soden errichteter kleiner Pferch.
Während des Siedlungshorizontes 2, der nach den Funden zeitlich in das 10./11. Jahrhundert weist, erfolgte eine Vergrößerung der Siedlung durch die Gründung neuer Hofwurten, die aufgrund steigender Sturmfluthöhen bis zu einer Höhe von NN +3 m mit Mist und Kleisoden aufgeschüttet wurden. Zwei dieser großen Hofwurten erfasste dabei der Grabungsschnitt. Auf der südlichen, randlich durch Sodenanpackungen gesicherten Hofwurt (I) wurde der nach Osten abfallende Stallteil eines 5,50 m breiten Wohnstallhauses freigelegt. Von dem Gebäude waren nur die südliche Außenwand mit ihren Flechtwandstaken aus Birkenholz und die ehemals außerhalb der Wand eingetieften, das Rähm tragenden Pfosten erhalten. Die nördliche Wand ebenso wie andere Bauteile hatten die Bewohner nach Aufgabe des Hauses abgetragen, um diese anderweitig zu nutzen. Von den Jauchegängen war nur noch ein mit Mist verfüllter Graben erhalten. Der aus Kleisoden bestehende Fußboden war mindestens einmal erneuert worden, wobei Sodenlagen jeweils schmale Mistlagen voneinander trennten. Auf eine einmalige Erneuerung des Stalles deuten die versetzten Viehboxenwände hin.
Zu der randlich mit Mist und abdeckenden Kleilagen erweiterten Hofwurt gehörte ein Brunnen, der mit seiner Baugrube bis in die wasserführenden Schichten des Untergrundes reichte. Dessen oberer Teil bestand aus einem Rundholzrahmen aus zwei Teilen, wobei mehrere Halbbohlen als Trittbretter auf einem viereckigen Rahmen aus Rundhölzern ruhten, die an ihren Enden miteinander verblattet waren. Vier weitere Rahmen befanden sich als Austeifung des aus waagerecht gestapelten Kleisoden bestehenden Brunnenschachtes darunter. Zum Brunnen führte ein Weg aus Rundbohlen, die auf kleineren Querhölzer lagen. Südlich des Brunnens befand sich eine viereckige, mit Mist verfüllte Abfallgrube.
Nördlich schloss sich die nur angeschnittene Hofwurt II an, auf der zwei Sodenwandbauten erfasst wurden. Ähnliche Sodensetzungen auf dem Elisenhof traten dort als Nebenbauten größerer Wirtschaftsbetriebe auf, lagen aber auch in den Außenbezirken der Siedlung. Der Zwischenraum zwischen den sich fast berührenden Hofwurten I und II wurde in Hassenbüttel mit Mist und Siedlungsmaterial aufgefüllt und mit Soden abgedeckt. Auf der erweiterten Fläche waren nahe der erwähnten Sodenwandbauten mehrere Pfosten eingetieft, bei denen es sich möglicherweise um die Überreste eines gestelzten Speichers handeln könnte.
Während des Hoch- und Spätmittelalters (Siedlungshorizont 3) erhöhte man die Dorfwurt weiter mit Klei bis zu ihrer jetzigen Höhe von bis zu NN +5 m. Vom humosen Oberboden aus eingetiefte Gruben deuten auf Pfostenbauten dieser Zeit hin.
Wirtschaft und archäologische Funde
Das tägliche Leben der Bewohner dokumentieren die Funde. Neben wenigen Scherben handgefertigter weicher Grauware lässt sich eine Dominanz von auf der Drehscheibe gefertiger, gut gebrannter Kugeltöpfe der harten Grauware des Hochmittelalters mit profilierten Rändern feststellen. Der Ton war zumeist mit Gesteinsgrus gemagert, wobei eine feinere Magerung im Laufe der Zeit zunimmt. Da ei-förmige Töpfe in den ältesten Schichten der Wurt fehlen, wird man deren Entstehung nicht vor dem 9. Jahrhundert ansetzen dürfen. Bei den hoch- und spätmittelalterlichen Kugeltöpfen der harten Grauware stehen am Anfang Formen mit ausbiegendem Rand und rundlichem, unverdickten, abgerundetem oder abgestrichenem Ende, das später lippen- oder keulenförmig gestaltet wird. Diese einfachen Kugeltöpfe gehören ins Hochmittelalter, wobei seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Verwendung von Formhölzern belegt ist. Im späten Mittelalter tritt eine Vereinheitlichung der Kugeltopfkeramik ein. Nun finden sich Töpfe mit kräftig profilierten Rändern teilweise dachartiger Form. Dabei kommen im oberen Teil drehgeriefte Gefäße des 13. Jahrhunderts hinzu.
Neben dieser einheimischen Gebrauchsware fanden sich einige Scherben von importierten Gefäßen Pingsdorfer Art und der Ardennenware. Eine der Pingsdorfer Scherben aus dem Siedlungshorizont 1 weist nach einer Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS) Datierung in die Zeit um 930±50 n. Chr. Eine Scherbe der Ardennenware aus dem auf der Hofwurt I errichteten Wohnstallhaus lässt zwar eine Einordnung in das 12. Jahrhundert zu, doch tritt diese Warenart in Schleswig bereits seit dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts im Hafenbereich verstärkt auf und erreicht ihre Hauptbedeutung dann im 12. Jahrhundert.
Bemerkenswert sind unter den Funden drei Fibeln als Bestandteile der Kleidung. Ein nicht näher zuweisbares Einzelstück aus dem Auftrag der Hofwurt I stellt eine im Durchmesser 44 mm große Scheibenfibel aus Blei oder Zinn mit umlaufender, dreifacher Perlverzierung und kleiner Tierdarstellung in der Mitte dar, die man nur allgemein den karolingisch-ottonischen Scheibenfibeln mit Tiermotiv (Vierbeinfilbeln) zuordnen kann. Der Randbereich dieser Stücke weist Perlkreise oder konzentrische Noppenreihen auf, in deren Mitte sich Vierbeiner mit erhobenem Schwanz und meist rückwärts gewandten Kopf befinden. Die in Hassenbüttel in der gleichen Schicht wie eine AMS datierte Scherbe (1090±65 n. Chr.) gefundene Scheibenfibel mit Tiermotiv entspricht dabei einer späten Datierung dieser Form.
Eine weitere Fibel stammt aus dem aus dem Auftrag der Hofwurt II., aus dem eine Keramikscherbe durch das AMS-Verfahren auf 930±55 n. Chr. datiert werden konnte. Es handelt sich um eine im Durchmesser 23 mm große Kreuzemailscheibenfibel. Das Verbreitungsgebiet dieser Fibeln erstreckt sich im karolingisch-ottonischen Reichsgebiet von Haithabu im Norden über das friesische Küstengebiet bis zur Rheinmündung, wobei die Südgrenze etwa mit der Linie Mainz-Trier zusammenfällt. Vereinzelte Exemplare gelangten als Import nach Lund und nach Großbritanien. Die in Hassenbüttel gefundene Scheibenfibel lässt sich dem Typ „Frick 2“ zuweisen, welche die Gruppe der Fibeln mit plastisch ausgeführten Kreuzmotiv und einziehenden Kreuzarmen umfasst. Von diesem Typ sind bislang fünf in einem Stück gegossene Exemplare aus Blei-Zinn sowie zwei Stücke aus Preßblech über Bleikern bekannt. Bis auf einen Streufund stammen alle Funde aus Siedlungen entlang des Rheins und Englands, wobei das nördliche Gebiet des karolingisch-ottonischen Reiches bis auf das Stück aus Hassenbüttel bislang fundleer ist. Im Vergleich zu den anderen Scheibenfibeln mit Kreuzdarstellung spricht einiges für eine Datierung dieser Fibel in das späte 9. und frühe 10. Jahrhundert.
Die dritte in Hassenbüttel gefundene Fibel stellt eine kleine, im Durchmesser 10 mm große Rechteckfibel viereckiger Form mit eingerahmter Kreuz- oder Kleeblattdarstellung und abgesetztem Rand aus einer Kupferlegierung dar, die in den Mistschichten zwischen den beiden Hofwurten I und II zu Tage trat. Zwei AMS datierte Scherben weisen hier in die Zeit um 1090±65 AD und 1130±85 n. Chr. Dieser Fibeltyp wird allerdings gemeinhin in das späte 10. Jahrhundert datiert. Rechteckfibeln gelten als Bestandteil der Frauentracht. Ein ähnliches Stück aus einer Kupferlegierung stammt aus einem Skelettgrab aus Altenmedingen, Kr. Uelzen. Die bislang bekannten 30 Exemplare des Typs 1 Variante 1 (nach Frick) der Rechteckfibeln stammen aus zehn Siedlungs-, sechs Grab- sowie 14 Streufunden, deren Verbreitungsgebiet sich von der Rheinmündung entlang der Nordseeküste und nach Haithabu erstreckt, wobei die östliche Grenze die Flüsse Elbe und Saale bilden, während im Süden die Linie Mainz-Trier erreicht wird. Besonders häufig sind sie im Gebiet des Niederrheins. Mit Ausnahme der aus Edelmetall gefertigten Buckelfibeln und der karolingisch-ottonischen Prunkfibeln bilden die Scheibenfibeln Alltagsschmuck vom schlichten Niveau. Vor allem die Exemplare aus Blei-Zinn ließen sich ohne großes handwerkliches Können leicht in Serien herstellen. Somit erfolgte – archäologisch im übrigen nachgewiesen – innerhalb des Gebietes des nördlichen Formkreises an einigen Fundorten die Verarbeitung von Buntmetall zu Schmuckgegenständen. Innerhalb des Nordseeküstenraumes treten Konzentrationen im Rheinmündungsgebiet mit der Handelsniederlassung Domburg und Westenschouwen und entlang der friesischen Nordseeküste auf, von wo Fibeln dieses Typs mit dem maritimen friesischen Handel neben weiteren Luxuswaren in das schleswig-holsteinische Küstengebiet gelangten.
Als weitere Bestandteile der Kleidung kamen in Hassenbüttel neben einem Armreifen aus Horn, einer hochmittelalterlichen Gürtelschnalle aus Eisen auch Lederreste zu Tage, darunter ein vorn spitzer, einteiliger Schuh, der mit einem Riemen um die Fußöffnung verschnürt wurde. Dabei finden sich in Hassenbüttel im Unterschied zu den älteren Schichten von Wellinghusen Lederschuhe mit Randversäuberungen. Verstreute Lederabfälle deuten an, dass die Anfertigung von Schuhen und anderen Gebrauchssachen im Hauswerk betrieben wurde. Besonders häufig fanden sich Lederriemen, die ehemals an Schuhen oder Messerscheiden befestigt waren oder zum Verschnüren von Taschen dienten. Die Textilien wurden ebenso wie die Schuhe selbst hergestellt.
Ein aus einer Verfüllschicht des 10. Jahrhunderts zwischen den beiden Hofwurten geborgener Dreilagenkamm weist eine schmale, langgestreckte Deckleiste mit geradem Rücken auf. In Elisenhof wurden Kämme dieses Typs in Schichten des 8. Jahrhunderts gefunden.
Zum Gebrauchsgerät zählen in Hassenbüttel auch solche aus Metall, Holz, Horn oder Stein. Dazu gehören zahlreiche Griffangelmesser, darunter auch eines, dessen Schaft mit einem Lederband umwickelt war. Messer dienten u.a. als Schreinerwerkzeuge für die Holzbearbeitung. Kleine, meist an den Enden durchbohrte Wetzsteine vorwiegend aus Sandstein dienten deren Schärfung. Zu den Holzgegenständen gehören Pflöcke, Nägel, Dübel und Keile. Mit kleineren, aus Holzscheiben ausgebohrten Pflöcken sicherte man den Zusammenhalt von Möbeln und Kisten. Erwähnenswert sind ferner ein langer, geglätteter Holzstab, durchbohrte Bretter, Holzscheiben, kleinere und größere Dauben – so von Gefäßen als auch von Fässern – sowie der Rest einer Schöpfkelle oder des Handgriffes einer Schale. Beachtung verdient ein kleines Holzobjekt, möglicherweise eine Spielfigur, die im Mistauftrag zwischen beiden Hofwurten lag. Durchbohrte Holzscheiben stellen zumeist Überreste der Deckel von Buttergefäßen dar, deren Form der Utrechter Psalter aus dem 9. Jahrhundert überliefert. Die Butter dürfte sich an der Nordseeküste seit 1000 mit der Intensivierung der Molkereiproduktion durchgesetzt haben. Butter wurde seit dem Hochmittelalter dann auch zur Handelsware. Neben durchbohrten Holzscheiben traten in Hassenbüttel auch solche ohne Bohrlöcher auf, wobei ähnliche, aber größere Exemplare auf dem Elisenhof zu den Speiseplatten gerechnet werden. Tordierte Ruten aus Wurzeltrieben oder aus Weide und Birke dienten in Hassenbüttel als feste Bindungen, zum Aufhängen von Gegenständen oder spielten eine Rolle in der Fischerei.
Die Wirtschaft der Siedlung beruhte vor allem auf Viehhaltung, wobei aufgrund der im Vergleich zu Wellinghusen nur niedrig aufgelandeten Seemarsch prozentual mehr Schafe als Rinder gehalten wurden. Getreideanbau war nur während der Sommermonate möglich, zumal die niedrige Marsch öfter überschwemmt wurde.
Blick auf die Dorfwurt Hassenbüttel, Dithmarschen (c) DM
Literatur:
Dirk Meier, Landschaftsentwicklung und Siedlungsgeschichte des Eiderstedter und Dithmarscher Küstengebietes als Teilregionen des Nordseeküstenraumes. Teil 1: Die Siedlungen; Teil 2: Der Siedlungsraum. Untersuchungen AG Küstenarchäologie des FTZ-Westküste = Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 79 (Bonn 2001), Habelt.
Dirk Meier, Die Nordseeküste. Geschichte einer Landschaft (²Heide 2007), Boyens.
Dirk Meier, Die Eider. Flusslandschaft und Geschichte (Heide 2016), Boyens