Archäobotanik in Dithmarschen und Eiderstedt

Besonders in den Marschen sind aufgrund der Mistschichten in den alten Wurten besonders gute Möglichkeiten für die Archäobotanik gegeben. Dabei wurde in der Naturlandschaft der schleswig-holsteinischen Seemarschen im 1. Jahrtausend n. Chr. wie auch in anderen Küstenbereichen der südlichen Nordseeküste vor allem höher gelegene Marschrücken bzw. Prieluferwälle aufgesucht. Dieser Bereich wurde im Sommer nicht und im Winterhalbjahr nur selten überflutet. Ohne Einfluss durch die Beweidung würde hier ein hohes Keilmelden-Gestrüpp wachsen. Nachgewiesen ist den paläobotanischen Analysen ist jedoch stattdessen immer die beweidete Salzbinnenwiese (Juncus gerardii).

Die Salzbinnenwiese ist sowohl als Viehweide als auch als Mähwiese für ein gutes, wenn auch nicht als ergiebiges Heu zu gebrauchen. Hier können Rinder und Pferde, die viel Süßwasser trinken müssen, können hier im Sommer und Winter weiden. Diese obere Salzwiese grenzt an das nicht vom Salzwasser beeinflusste Wirtschaftsgrünland, das auch zur Aussaat von Sommerfeldfrüchten umgebrochen und gepflügt werden kann.

In Richtung zum Meer geht die Salzbinsenwiese in den Andelrasen über, ein besonders von Schafen sehr geschätzter Rasen, der öfter, wenn auch nicht täglich, überflutet wird als die Salzbinnenwiese. Der Andelrasen hat seinen Namen von Salzschwaden oder Andel (Puccinellia maritima), ein unscheinbares Gras mit dünnen, aber fleischigen Hälmchen und Blättern. Im Bereich der regelmäßigen täglichen Überflutung wächst als höhere Pflanze und nur als einjähriges Kraut über den Sommer der Queller (Salicornia europaea).

Die auf einem kleinen Marschuferwall gelegene, im 1./2. Jahrhundert n. Chr. bestehende Siedlung Tiebensee in Norderdithmarschen war teilweise von leicht brackigem Wasser umgeben, wie Rohrkolben (Typha), Schilfrohr (Phragmites) und etliche Süßwasserarten belegen. Da der Salzschwaden fehlt, existierte hier auf dem Uferwall eine höhere Salzbinnenwiese, während in den niedrigeren Partien des Umlandes der oft überflutete Andelrasen vermutet werden darf. Die Siedlung dürfte recht hoch und trocken gelegen haben, da die Verhältnisse süßwassergeprägt sind, wie Proben aus einem mit Mist verfüllten Brunnen des 1./2. Jahrhunderts zeigen. Die zahlreichen Unkräuter belegen Ackerbau, wenn auch keine Kulturpflanzenreste nachgewiesen sind.

Hingegen prägt die 2 km weiter westlich gelegene Wurt Haferwisch, die von der Mitte des 2. bis in das 3./4. Jahrhundert n. Chr. auf einer niedrigen Seemarsch bestand, ein weit größerer Salzwassereinfluss, wie die Anzahl der vertretenden Salzmarscharten belegt. Der Anbau von Vierzeil-Spelzgerste (Hordeum vulgare vulgare) und Leinen (Linum usitatissimum) dürfte aber zeitweise noch möglich gewesen sein, wie deren Reste aus einem mit Mist verfüllten Graben (Schnitt 3, Befund 304) an der Basis der kaiserzeitlichen Wurt andeuten. Aus den gleichen Schichtzusammenhängen der römischen Kaiserzeit stammen Nachweise der Rispenhirse (Panicum miliaceum) und Roggen (Secale cereale), die jedoch nicht zeittypisch sind und vermutlich im Rahmen eines Güteraustausches von der Geest nach Haferwisch gelangten. Im Norden wurden unter den ausgebauten Hofwurten Hakenkreuzpflugspuren dokumentiert.

Teilweise sind sich die Wirtschaftsflächen in der unbedeichten Seemarsch teilweise seewärts- aber auch zum rückwärtigen Bereich ausgerichtet, wie das Beispiel der Dorfwurt Hassenbüttel in Dithmarschen zeigt. Das Probenmaterial dieser frühmittelalterlichen Marschensiedlung, die infolge einer Siedlungsverdichtung in der Dithmarscher Nordermarsch im 9./10. Jahrhundert entstand, prägen insbesondere die Arten Gewöhnliche Sumpfbinse (Eleocharis palustris) und Zweizeilige Segge (Carex disticha). Diese Vegetation verlangt im Sommer eine Ruhe vor Salzwasserüberflutungen. Allerdings belegen Meeresablagerungen oberhalb von Pflugflspuren, das das Umland von Hassenbüttel doch öfter überschwemmt wurde. Auch die relativ hohe Anzahl von Schafen im Verhältnis zu der etwa 2 km südlich, auf einem höheren Uferwall gelegenen Marschensiedlung Wellinghusen, wo der Anteil der Rinder höher war, deutet auf eine öfter von Überflutungen beeinflusste Salzwiese hin. Dies belegten die archäozoologischen Untersuchungen.

Die Wurt Haferwisch aus der römischen Kaiserzeit und die frühmittelalterlichen Dorfwurten von Wellinghusen und Hassenbüttel ebenso wie die im 12. Jahrhundert auf einer niedrigen Seemarsch im nördlichen Eiderstedt angelegte Warft Hundorf prägten eine Salzwiesenflora von Gewöhnlicher Strandflieder oder Halligflieder (Limonium vulgare), Strand-Grasnelke (Ameria maritima) und Strand-Wegerich (Plantago maritima). Alle vier Wurten sind somit typische Salzmarsch-Siedlungen, deren Umland – das gilt vor allem die niedrigeren Lokalitäten – auch von sommerlichen Überflutungen nicht verschont blieb. Rispenhirse und Roggen aus Schichten der römischen Kaiserzeit in Haferwisch gibt es zwar als Kulturpflanzen der römischen Kaiserzeit in Schleswig-Holstein, doch nicht im Küstengebiet der Marschen. Ferner ist in Haferwisch Schwarzer Nachtschatten belegt, sodass man an eine Nutzung denken könnte. Vorstellbar wäre, dass es auch auf verwitterten alten Mist zu einer Massenvermehrung kam, sodass man diesen in den Sommermonaten als Obst sammelte, da dessen Beeren hingegen landläufiger Meinung nicht giftig sind. Auch diente dieser als Zutat auch zum Bierbrauen.

Vor allem die Analysen der Mistschichten der hochmittelalterlichen Warft Hundorf im nördlichen Eiderstedt belegen nach den hohen Werten von Strand-Dreizack (Trigliochin maritimum) und Salz-Schuppenmiere (Spergularias salina) einen erheblichen Salzwassereinfluss auf das Marschengrünland. Doch infolge des sommerlichen Schutzes durch einen niedrigen Ringdeich existierten im St. Johannis-Koog auch höhere, weit seltener überflutete Bereiche der höheren Salzmarsch, in der das Strausgras Agrostis und der Schwingel Festuca die häufigsten Gräser sind. Auch deren Werte im Probenmaterial sind beachtlich.

Zugleich weist im Probenmaterial dieser Siedlungen die Meerbinse Bolboschoenus maritimus auf Brackwasserröhrichte hin. Ferner zeigen einige Ruderalpflanzen Salze an, so die Echte Strandkamille (Matricaria maritima) und die Marschen-Gänsefüße Chenopodium ficifolium und Chenopodium glaucum/rubum, die mit Meldenarten Atriplex das in verschiedenen Biotopen vorkommende Chenopodium album teilweise vollständig ersetzen.

Manche Arten deuten auf Kontakte zur Geest hin, weil sie in einem Seemarschmilieu nicht vorstellbar sind. Das sind zum einen die Heide und Moorpflanzen wie die Besenheide (Calluna vulgaris) und ein Beerstrauch aus der Gattung Vaccinum, beide aus Wellinghusen, sowie der Gagelstrauch Myrica gale aus Tiebensee und Poppenbüll in Eiderstedt. Dieser ist für die atlantische Nordseeküste typisch für Moor- und Heideböden, aber nicht für Marschenklei. Ab dem frühen Mittelalter gilt Gagel gemeinhin auch als Bierzutat und somit als Nutzpflanze.

Die Unkräuter Kleiner Sauerampfer (Rumex acetosella) und Acker-Spark (Spergula arvensis) bilden traditionelle Zeigerpflanzen für magere, sandige Geestböden. Kommen sie in geringen Mengen in der Marsch vor, wie in den Siedlungen der römischen Kaiserzeit (Tiebensee), des frühen Mittelalters (Wellinghusen) oder des Hochmittelalters (Schülp) kann man die Funde kommentarlos übergehen. Hingegen verlangen reiche Funde wie auf der hochmittelalterlichen Warft Hundorf nach Überlegungen, zumal auch der Saatweizen (Triticum aestivum) in größerer Anzahl vorhanden ist. Dieser tritt in den Proben zusammen mit der Acker-Witwenblume (Knautia arvensis) auf, ein bezeichnendes Unkraut des Mittelalters und der Neuzeit. Dies spricht für Handelskontakte zur nahe gelegenen Nehrung, wo mit Garding der Vorort der Edomsharde liegt.

In den bedeichten Seemarschen von Poppenbüll und Osterhever im nördlichen Eiderstedt bezeugen die Kulturpflanzenarten Gerste, Weizen, Hafer und Bohne den hochmittelalterlichen Ackerbau. Ferner ist auf Hundorf der Löwenzahn (Taraxacum officinale) vertreten. Heute ist der Löwenzahn eine triviale Pflanze, doch fehlt er in die Vorgeschichte über weite Räume und Zeiten ganz und ist auch im Mittelalter spärlich.

Im Probenmaterial der im Hochmittelalter gegründeten Wurt Schülp in der Dithmarscher Nordermarsch fanden sich drei Samen des Kulturmohns (Papaver somniferum), der seit dieser Zeit seine Hauptverbreitung erreicht. Mit den Städtegründungen gehört dieser dann zu den allgemeinen Kultur- und Nutzpflanzen, der über alle regionale und kulturelle Grenzen hinweg ganz Europa als Einheit kennzeichnet und von Finnland bis Italien und England sowie von Frankreich bis weit nach Osteuropa verbreitet ist.

Blühende Hallig. Ölbild von Jacob Alberts um 1895, Museumsberg Flensburg

 

Literatur: 

Helmut Kroll, Archäobotanische Analysen. In: Dirk Meier, Landschaftsentwicklung und Siedlungsgeschichte des Eiderstedter und Dithmarscher Küstengebietes als Teilregionen des Nordseeküstenraumes. Teil 1: Die Siedlungen; Teil 2: Der Siedlungsraum. Untersuchungen AG Küstenarchäologie des FTZ-Westküste = Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 79 (Bonn 2001), Habelt, 227-272.