Wo historische Deiche das Land prägten

Küstenarchäologe Dr. Dirk Meier andeutet.  Foto: H. Müllerchen  So hoch waren die ersten Deiche....

Unterwegs auf der Halbinsel Eiderstedt / Noch immer zeugen Relikte einstiger Marschinseln vom ewigen Kampf der Menschen mit der Nordsee

POPPENBÜLL/RUNGHOLT | Die vom Meer getilgte Stadt Rungholt, die alte, große InselStrand - wer will nicht wissen, wie es im damaligen Landstrich an der nordfriesischen Westküste ausgesehen hat? Die Stadt ist mit der "Ersten Groten Mandränke" 1362 von der Landkarte gelöscht worden. Und von der alten Insel "Strand" sind Pellworm, Nordstrand und die Hallig Südfall als Reste erhalten. Bis heute ist nicht ganz geklärt, wo Rungholt lag. "Es gibt keine verlässlichen Aufzeichnungen über die Lage", sagt Dr. Dirk Meier (52), Küstenarchäologe aus Wesselburen (Kreis Dithmarschen). Seit 1988 erforscht Meier die Landschaftsentwicklung sowie die Siedlungsgeschichte und Sturmfluten an der Westküste. Lediglich einzig einzelne Spuren finden sich. Wattwanderer können sie rund um die Hallig Südfall entdecken.
Und doch können Landschaft und Siedlung ganz direkt nachempfunden werden - und zwar südlich der alten Insel Strand, auf der nördlichen Halbinsel Eiderstedt. Viele Warften, Reste alter Deiche aus dem 12. bis 15. Jahrhundert sowie einstige, mittelalterliche Wölb-Äcker sind hier noch erhalten. "Sie haben hier die Siedlungsgeschichte direkt vor Augen. Und eine Vorstellung davon, wie es damals ausgesehen haben könnte", sagt Dr. Dirk Meier. Der Grund: Anders als im Süden Eiderstedts, wo bereits im hohen Mittelalter große Landstriche eingedeicht waren, prägten um das Jahr 1000 die Everschop Harde im Nordwesten zahlreiche, von Prielen durchzogene Marschinseln die Landschaft, erklärt der Wissenschaftler.

Dies spiegele auch die Karte "Von dem alten Nortfrieslande anno 1240" des in Husum gebürtigen Mathematikers und Kartographen Johannes Mejer (1606 bis 1674) wieder, sagt der Küstenarchäologe. "Ansonsten aber ist die Karte weit mehr der Phantasie als der Realität entsprungen", schränkt Meier ein. Die hierin angeblich 1362 untergegangenen Landflächen reichten "viel zu weit nach Westen." Dennoch: Wirklichkeitsnah sei die Darstellung der nördlichen Halbinsel Eiderstedt als "inselartig zerrissene Marschlandschaft", sagt der Küstenarchäologe.

Ein besonders schönes und für jeden sichtbares Beispiel für eine ehemalige Marschinsel ist der St. Johannis Koog nördlich von Garding. Wie die anderen Seemarschen sei auch diese "Insel" häufig von Salzwasser überflutet worden, erklärt Meier. Im Hochmittelalter schließlich hätten Siedler aus Klei große Warften aufgeschüttet und mit der Eindeichung ihrer Wirtschaftsflächen begonnen. Auslöser dafür: "Die Bevölkerung nahm zu, die Menschen benötigten mehr Getreide." Zunächst hätten die Bewohner die Felder und Äcker, die heute nur 50 Zentimeter über dem Meeresspiegel liegen, mit einem 1,50 Meter hohen Sommerdeich abgesichert. Später, um 1450, sei das Bollwerk rund um den St. Johannis Koog auf 3,50 Meter Höhe und damit endgültig zum Seedeich ausgebaut worden, so der Küstenarchäologe. Noch heute ragen große mittelalterliche Warften wie Hundorf oder Helmfleth heraus. Sie waren zunächst drei Meter hoch aufgeschüttet und nach der "Ersten Groten Mandränke" noch einmal um einen Meter erhöht worden.

Auf Eiderstedt habe er "besonders viel gegraben", berichtet Dr. Dirk Meier. Diverse alte Deichprofile habe er erkundet und eine Landesaufnahme gemacht mit der Folge, dass er die gesamte Region "im Maßstab 1: 5000 auswendig" kenne. Neben dem St. Johannis Koog kann der Wissenschaftler auf weitere wertvolle Kleinode hinweisen: auf den Iversbüller Koog, auf Wester- und Osterhever oder auf den Marschkoog, wo sich jeweils dieselben Hinweise auf die Siedlungsgeschichte noch entdecken lassen. All diese alten Landschaften waren wie Rungholt und "Strand" am 16. Januar 1362 überflutet worden. Nach archäologischen Untersuchungen ebenso wie frühneuzeitlichen Chroniken ist nach Angaben von Meier anzunehmen, dass die "Erste Grote Mandränke" die damals etwa zwei Meter hohen Deiche um mindestens einen Meter überschritt und damit die Höhe der damaligen Warften erreichte.

Besonders markant erscheinen die alten Strukturen, wenn wie jüngst eine regenpeitschende Sturmtief-Serie über Norddeutschland hinwegfegt. Kann dann wegen der hohen Nordsee-Wasserstände das Binnenland kaum entwässert werden, kommt auch Wissenschaftler Meier in Schwärmen. "Eine amphibische Landschaft", nennt er es. Mit der Binnenflut zeichnen sich die Verläufe alter Priele, die von alten Deichen umschlossenen Warften und mittelalterlichen Wölb-Äcker besonders stark in der Landschaft ab. Für Meier ist klar: "Nicht allein die teils denkmalgeschützten Warften, sondern alles zusammen ergibt ein Ensemble." Gefahren drohen diesem landschaftlichen Kulturdenkmal nur durch eine "Dritten Groten Mandränke". Oder durch den Menschen. www.kuestenarchaeologie.de

Wolfgang Blumenthal, SHZ

Zurück